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ALPS BOULDER EXPLORE

Von Bergen und Blöcken- neue Boulder am Glockner und Dachstein

Text: Flo Scheimpflug /Hati Finsterer


2021 haben wir beim ALPS Boulderexplore lässige neue Blöcke mitten im Hochgebirge erschlossen. Mit starken Crews sind uns mehr als 50 Erstbegehungen gelungen. Flo Scheimpflug, Berni Fiedler und Jakob Schrödel haben das dokumentiert.




Boulder und Berge- ein Widerspruch?

Boulderer und Alpinisten haben selten gemeinsame Ziele. Ein Blick in die Alpingeschichte zeigt allerdings, dass das Klettern auf Felsblöcke und das Steigen auf Berge schon Ende des 19. Jahrhunderts eine fruchtbare Symbiose eingegangen sind. Am Großglockner tun sie es auch heute noch.





Prolog am Glockner- von Matratzen und Steigeisen

Am späten Nachmittag haben die Gipfelstürmer Steigeisen, Pickel und Gurtzeug vor der Stüdlhütte zum Trocken ausgelegt. Sie selbst sitzen in der Sonne und blicken zufrieden und nicht ohne Stolz auf den Großglockner, auf dessen höchstem Punkt sie noch vor wenigen Stunden gestanden sind. Man prostet sich zu, Anekdoten vom Tag werden ausgetauscht.


Plötzlich erlischt das Gemurmel und die Blicke wenden sich einer kleinen Gruppe zu, die soeben die Hütte erreicht.

„Schaut´s amoi, der ´trägt seine Matratze am Rücken“, prustet einer plötzlich.

Ein anderer deutet auf das Crashpad: „Kann man mit dem Ding da fliegen?“.

Schallendes Gelächter.


Dass man als Boulderer – und nicht etwa als Matratzenweitträger oder Pilot mit schaumstoffgefülltem Faltflügel – auch heute noch ein solches Aufsehen erregen kann, ist überraschend. Bouldern ist schließlich olympische Disziplin und liegt im auch sonst Trend wie kaum eine andere Sportart. Auf der Stüdlhütte aber scheinbar noch nicht. Offensichtlich muss sich so mancher „Bergler“ erst an diese Spezies Kletterer gewöhnen. Berührungsängste sind deswegen aber nicht angebracht. Auch wenn die Disziplinen Bouldern und Bergsteigen gegenüberliegende Seiten des kletterischen Spektrums markieren, sind sie sich speziell in alpinhistorischer Hinsicht alles andere als artfremd. Am Anfang der Geschichte gingen die beiden Disziplinen nämlich Hand in Hand.




Eckensteins Geistesblitz

Die ersten Zeugnisse über das Boulder datieren bis ins England des 19. Jahrhunderts zurück. In Verbindung gebracht werden sie mit Oscar Eckenstein (1859-1921), einem Mann von alpinhistorischer Prägnanz. Eckenstein war nicht nur ein passionierter Bergsteiger sondern auch ein großer Tüftler was dieses betraf. 1908 erfand er das zehnzackige Steigeisen, welches das Gehen in steilem Eis und Firn revolutionierte. Flanken bis 35 Grad und darüber konnten so sicher begangen werden.

Eckenstein lieferte aber nicht nur die Hardware sondern auch die Software in Form der bis heute immer noch gebräuchlichen „Eckensteintechnik“. Bei dieser wird der talseitige Knöchel so abgewinkelt, dass der Fuß dann mit der vollen Sohle quer zur Falllinie aufs Eis oder den Firn gesetzt. So können alle Vertikalzacken gleichzeitig greifen. Damit das Gehen in Serpentinen schräg zum Hang auch funktionieren kann, war ein Eispickel bzw. Eisbeil, das die richtige Länge hatte und mit einer Hand bedient werden konnte, vonnöten. Für Eckenstein kein Problem, er entwickelte ein solches gleich mit.


Die spinnen die Briten-oder gelten Felsen als Berge?

Um zu erklären, was der Steigeisenerfinder mit dem Bouldern zu tun hat, muss man den Blick von den Firnflanken der Westalpen auf Eckensteins Heimat, den Lake District im Nordwesten Englands, wenden. Dort sinnierte Eckenstein nicht nur über Strategien für die Besteigung des K2 nach sondern beschäftigte sich auch mit der Frage, wie man sich für die großen Felsfahrten in den Alpen klettertechnisch fit machen kann. Dass ihm dabei ausgerechnet das Bouldern, also das seilfreie Klettern in Absprunghöhe in den Sinn kam, war alles andere als paradox. Im Lake District waren die Klettermöglichkeiten Ende des 19. Jahrhunderts nämlich eher beschränkt.




Das Bouldern an den dortigen Felsblöcken, wo Eckenstein alle Schwierigkeiten simulieren und spielerisch neue Bewegungen lernen konnte, kam ihm dabei gerade recht. Der Zeitaufwand war gering und selbst ohne Partner stand einer kleinen Trainingseinheit außer der „tea-time“ nichts im Weg. Eckensteins Beispiel machte Schule. Viele namhafte Alpinisten, darunter Fritz Kasparek, Teil des Erstdurchsteiger-Quartetts der Eiger-Nordwand, „boulderten“ an Felsblöcken und konnten so ihr Kletterkönnen verbessern.







Die Blocklieferanten

Die Entwicklungsgeschichten des Bergsteigens und des Boulderns begannen sich in weiterer Folge zwar zu entzweien, gänzlich aufgelöst haben sich die gemeinsamen Vorlieben aber nicht. Eine davon sind niedrige Temperaturen, die sowohl für stabilen Trittschnee als auch für gute Reibung an kleinen Griffen notwendig sind. Weil es im Sommer in den Tälern zum Bouldern oft zu warm ist, zieht es Boulderer immer öfter ins vergletscherte Hochgebirge. Die Wahl des Ortes ist entscheidend und hat einen guten Grund: Gletscher sind die besten Lieferanten von qualitativ hochwertigen Felsblöcken. Die traurige Seite ihres schnellen Schwindens hat zumindest für Boulderer auch einen positiven Aspekt. Immer mehr Felsblöcke werden vom Eis freigegeben.



Von Blöcken und Bergen

Wer seinen Blick durch das Hochgebirge schweifen lässt, wird fast mühelos das eine oder andere Blockfeld entdecken. Beim Zustieg zur Tour wird er dieses vielleicht sogar durchwandern. Auch Hati Finsterer erging es so. Seit 1983 geht er immer wieder an den Blöcken von Großglockner und Dachstein vorbei. Irgendwann blieb er etwas länger stehen und schaute genau. Der Fels sah super aus, „mehr als schüchterne Versuche an leichten oder niederen Bouldern“ waren aber nicht drinnen. In der Früh hat man es schließlich eilig auf den Gipfel zu kommen, danach ist man zu müde für eine Boulder-Session. „In nassen Bergschuhen und ohne Crashpads wäre das ohnehin kein guter Plan“.



EXPLORE GROSSGLOCKNER

Ein anderer Plan musste her. Im August 2021 war es soweit, Hati und ein paar motivierte Freunde schulterten neben dem Hochtourenrucksack auch noch das Crashpad und machten sich auf den Weg Richtung Ködnitzkees.

Zugegeben, am Großglockner bouldern zu gehen, das klang dem einen oder anderen von ihnen im Vorfeld ein wenig abwegig. Der „Glockner“ ist schließlich der „Glockner“ und steht auf der „bucket-list“ jedes Steigeisengehers. Ausgerechnet da soll man zum Bouldern hin?


Ja, soll man! Denn die Blöcke, die unterhalb seiner Südwand ausgestreut sind, stehen ihren Artgenossen in tieferen Lagen um nichts nach, im Gegenteil. Durch das hochalpine Klima sind die Felsoberflächen rauh und strukturiert. „Wir waren überrascht wie gut die Felsqualität der Boulder ist“, gibt Marcel Kruder zu. Ein weiterer Vorteil der Höhenlage ist, dass „man die Boulder oberflächlich kaum putzen muss und gleich zum klettern anfangen kann“, sagt Stefan.

Zum Klettern angefangen hat die Crew angesichts des großen Potentials mit Lichtgeschwindigkeit. Nicht weniger als 25 Erstbegehungen von 4 – 7C sind so innerhalb von zwei Tagen gelungen.

Mag sein, dass die Zeiten, wo man Alpengipfel erstbegehen konnte ein für allemal vorbei sind. An den Blöcken knapp unterhalb von diesen gibt es aber noch eine Menge Möglichkeiten, noch zum Erstbegeher zu werden. Das Potential an Blöcken ist groß.






Das Beste kommt zum Schluss


Ein Bouldergebiet auf 2.800 Metern ist vor allem im Hochsommer eine feine Sache. Der lange Zustieg bleibt als Abschreckung für Nachahmer aber bestehen.

Das war auch Hati klar. Um es Nachfolgern etwas leichter zu machen hat er in Abmachung mit dem Hüttenwirt insgesamt vier Black Diamond Crashpads auf der Stüdlhütte deponiert.


Sie können von jedermann – und frau unentgeltlich ausgeliehen werden. Damit man sich in de Blockfeldern auch zurecht findet, sind die Topos online abrufbar.


Gute Temperaturen, bombiger Fels, beeindruckende Landschaften – das Bouldern im Hochgebirge hat viele Vorteile. Einer davon, der beste vielleicht, kommt zum Schluss.Wenn nach einer intensiven Boulder-Session die Haut auf den Fingerspitzen zu dünn zum weiterklettern ist, gibt es dafür den perfekten Plan B: Steigeisen anschnallen, Pickel in den Hand nehmen und rauf auf den Glockner.


Dann kann sich der Kreis von Bergen und Blöcken erneut schließen.






INFOBOX


Bouldergebiet Ködnitz/Großglockner/Osttirol

Höhe auf rund 3000 Meter

Zugang: in rund 20 Minuten von der Stüdlhütte ( Zugang von Kals/Lucknerhaus rund 2 Stunden)

Beste Jahreszeit: August bis September

Schwierigkeiten: 4c-7c, mehrere Projekte und Erschließungsmöglichkeiten

Matten: es sind 4 Black Diamond Matten auf der Stüdlhütte


Kurse und Führungen: alpsclimbing.com

Die kompletten Listen und Bilder kannst Du bei ALPS anfragen info@alpsclimbing.com



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